Vom Wolkenstein ins Reuental

Vom Wolkenstein ins Reuental

Oswald von Wolkenstein (1377-1445)
Mönch von Salzburg (14. Jh.)
Neidhart von Reuental (ca.1180-ca.1240)

Oswald, Neidhart und der "Mönch" - drei herausragende Dichtermusiker des späten Mittelalters aus dem süddeutschen Sprachbereich, drei gänzlich verschiedene Lebenswege, drei gänzlich verschiedene Lebenswerke, und doch faszinierend und packend bis heute die Lieder von allen dreien.

Oswald von Wolkenstein, der fahrende Ritter, Politiker und Diplomat gilt heute als der deutschsprachige Lieder-Autor des späten Mittelalters. Was seine Biographie angeht, ist er eine der bestdokumentierten Persönlichkeiten des Mittelalters überhaupt. Neben seinen Liedern sind eine ganze Fülle von Dokumenten über seinen Lebensweg und seinen politischen Werdegang auf uns gekommen.

Er hat so gut wie alle Möglichkeiten der damaligen Lyrik ausprobiert und weiterentwickelt, teilweise mit sehr starkem autobiographischen Bezug. Auch musikalisch ist sein Werk von größter Vielfalt und höchster Qualität; unter Verwendung damals moderner romanischer Vorlagen bildet er einen frühen Höhepunkt der Polyphonie im Deutschen.

Die Lieder des "Mönch von Salzburg" gehören zu den am weitest verbreiteten des gesamten Mittelalters. Die ihm zugeschriebenen 49 geistlichen und 56 weltlichen Lieder sind in über 100 Handschriften überliefert. Die Autorenbezeichnung münch ist in Handschriften seit Beginn des 15.
Jahrhunderts belegt. Welche historische Persönlichkeit sich hinter diesem "Pseudonym" verbirgt, ist bis heute ungeklärt, doch deuten einige sichere Hinweise auf den Salzburger Erzbischof Pilgrim II. (Regierungszeit: 1365-1396). Seine Lieder zeichnen sich durch eine große thematische Vielfalt, sprachliche Virtuosität und musikalische Originalität aus. Es finden sich neben Tageliedparodien, derben Freß- und Saufliedern und "Klafferschelten" vor allem Liebeslieder, die eine erstaunliche Variationsbreite in Motiven und Gefühlsausdruck zeigen. Wenn auch die Liebe, wie sie sich beim "Mönch" ausdrückt, ohne die Tradition des Minnesangs nicht denkbar ist, fasziniert uns die - im Gegensatz zu manchem Lied der "hohen Minne" - Unmittelbarkeit und Wahrhaftigkeit im Ausdruck und die meisterliche "Psychologisierung", seine Lieder machen auch den heutigen Hörer unmittelbar und sehr persönlich betroffen.

Auch über Neidharts Leben ist wenig bekannt. Geboren in Bayern am Ende des 12. Jahrhunderts, zog er als fahrender Sänger durchs Land, nahm vielleicht an einem Kreuzzug teil und starb gegen 1240 in Mödling bei Wien. Eines lässt sich freilich sagen: Neidhart und seine Lieder waren ungeheuer populär und beliebt. In 22 Handschriften sind über 200 Texte und 55 Melodien überliefert, die von ihm oder von Nachahmern à la Neidhart gesungen worden sind. Diese Oeuvre wird in der Forschung einfach aufgeteilt - in Sommerlieder und Winterlieder, Lieder zum Tanz auf dem Anger und Lieder zum Tanz in der Stube. Und wirklich beginnen auch die meisten seiner Lieder mit einem sog. "Natureingang", etwa "Wie schön, dass der Mai mit Sonne, Blumen, Gras und den Vögeln wiedergekommen ist!" oder "Wie schlimm, dass der Winter mit Reif, Schnee und Frost eingekehrt ist!". Doch nach ein paar Zeilen oder Strophen solcher Konvention folgen im Ton sehr individuell gehaltene Lieder, virtuos und ausdrucksstark, lustig, aufschneiderisch, erotisch, obszön, brutal, klagend, nörgelnd, bittend, meist mit sehr eingängigen, eindringlichen Melodien, die sich bei den zahlreichen Wiederholungen durch die zahlreichen Strophen hineinbohren ins Ohr, Ohrwürmer werden.

Und so stellen sich vor: Der Südtiroler Adelige, der zur Selbstdarstellung und aus Spaß am dichterischen Ausdruck Lieder macht, der geistliche Liederdichter, auch er kein Berufsdichter, auch er frei vom Publikumsgeschmack, im ganzen etwas nobler, feiner im Ausdruck als der rauhbeinige Oswald, und schließlich der berufsmäßige Sänger, der um seinen Lebensunterhalt singt, der sich immer wieder vor die gleiche Aufgabe gestellt sieht, aufzuspielen zum Tanz, Zuhörer zu unterhalten und zu amüsieren . . .

Heinz Schwamm